Schießbude St. Pauli

Ist das noch ein Team, das da für unsere Farben auf dem Rasen steht? Ist das ein Problem der Mannschaft?, oder ein grundsätzliches Problem im FC St. Pauli, das lediglich auf die Boys in Brown abfärbt?

Klassenkrampf oder Kulturkampf?

Es stellen sich viele Fragen, wie so oft nach Offenbarungseiden. Wie konnte es soweit kommen? Und: müssen wir auch kulturell was ändern, nicht nur taktisch?

Ich gebe zu, ich habe mich noch nicht vom 0:4 erholt gegen Borussia Mönchengladbach. Allerdings habe ich viel gelesen, im Fediverse, in Blogs und Zeitungen und selbst auf Linkedin, wo sich eine interessante Debatte unter einem Post von Lars Meier entspann, an der auch Oke teilnahm – und die vieles klarer macht, zumindest für mich.

„Klassenkampf statt Kulturkampf ist angesagt!“

– Oke Göttlich

„Auch auf den Rängen herrscht Entfremdung. Die Ultras auf der Süd singen ihr Programm herunter, losgelöst von Spiel und Stimmung. Schon beim Pokalspiel, als plötzlich Rihannas „Diamonds“ erklang, fragte man sich, was das mit St. Pauli zu tun hat. Die Fragezeichen von Dienstag sind jetzt zu Ausrufezeichen geworden. Wieder fehlte jede Reaktion, jeder Versuch, die Mannschaft nach vorne zu treiben.“

Sorry, Lars Meier, so sehr ich auch finde, dass wir am Millerntor einen Shift in der Art und Weise haben, wie Menschen unseren FC St. Pauli supporten (in meiner Wahrnehmung sollten wir über Erwartungshaltung und Stadionverlassen sprechen), die alte „Aber die Ultras“-Debatte aufzuwärmen, bringt hier nix – auch das Hymnentehma ist soo weit von der Mannschaft entfernt, dass höchstens homöopathische Effekte zu erwarten sind. (Wirkt also kaum über den Placebo Effekt hinaus 😉

Oke Goettlich und Borne haben so erfolgreich die Mannschaft von dem abgeschirmt, was uns im Verein so allgemein kulturell-politisch beschäftigt (was ich immer noch bedaure, bei solchen Diskussionen aber als erfolgreich anerkennen kann ;)), dass ich nicht glaube, dass ein „Kulturkampf“ als Ursache für die sportliche Grundberührung infrage kommt.

Auch ich wünsche mir oft, oder rede es mir ein (in diesem Sinne bin ich wohl ein Homöopathiegläubiger 😉, dass mein und unser Wirken auf den Rängen, das Rangeln um den richtigen Weg in Foren oder Blogs und die Magie am Millerntor an sich wirkmächtig sind – und in einigen Momenten könnte ich schwören, dass wir das sind.

Am Ende hat aber diese Niederlagenserie wenig bis gar nix damit zu tun, wie ich bspw. zu Polizeieinsätzen stehe oder ob ich „Westerland“ als neue Hymne haben möchte. Vielleicht abgesehen von der Causa Jackson Irvine geht es primär um die Frage, ob sich bspw. Eric Smith selbst in der Lage sieht, die berühmten 110% zu bringen, obwohl es ihn mutmaßlich nach England zieht?

It`s in the team, stupid

Bruce Tuckman, ein US-amerikanischer Psychologe, entwickelte 1965 ein Phasenmodell für die Teamentwicklung, das mittlerweile fast jeder kennt, die Teamuhr.

Demnach durchläuft jedes Team mindestens vier Phasen, wobei die 2. die interessante ist. Storming: spielt ein Team eine Weile zusammen, beginnen sich Formen von Höflichkeit, Grundannahmen und vorgegebene Stile aufzulösen und Konflikte und Machtkämpfe treten zutage. Das ist vollkommen normal und muss jedes Team durchmachen.

Aber Moment mal, wirst Du einwenden, die Boys waren doch schonmal soweit (Performing)? Das stimmt. Dummerweise beginnt jedes Team, wenn es sich verändert, wieder bei Phase 1.

Das weiß auch Bornemann, oder Blessin. Das wissen auch alle Spieler und trotz dem sicher vorhandenen Willen, so schnell wie möglich zurück zu kehren zu bewährten „Basics“, muss der FC St. Pauli da durch.

Durch die Egoverletzung eines Jackson Irvine, dem die WM Teilnahme davonzuschwimmen droht, durch den unterbewußten Wunsch Erics hindurch, in England den großen fetten Vertrag zu ergattern.

Durch Anpassungen hindurch, die eine junge Doppelsechs ertragen muss, trotz tollem Einstieg. Anpassungen an die Liga (Kaars); die Intensität (Houtonji); die Genesung (Mets) und daran, dass die elder Statesmen fehlen (Albers).

Hauke Wahl hatte Recht, als er zu Beginn warnte, dass die schlafwandlerische Abstimmung – vor allem in der Defensive – noch nicht wieder da sei.

Es sind schon viele Teams an der Stormingphase zerbrochen. Dann müssen Konflikte manchmal durch nochmaligen Austausch gelöst werden. So, wie ich Oke und Bornemann einschätze, hat Alex Blessin aber noch ein wenig Zeit, denn auch die beiden wissen: auch ein neuer Trainer fängt wieder bei Null Uhr an.

Wir können uns also getrost wieder über Hymnen und Co. streiten. Im Profiteam gehen die Uhren anders.

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