Mein Aufstiegsspieltag begann früh am Sonntag Morgen an der Ostsee. Nach einer kurzen langen Bus und Bahnfahrt mit lauter vorfeudigen St. PaulianerInnen traf ich mich mit Markus um 1130 am Dammtor Bahnhof zu unserem kleinen, privaten Fanmarsch an das Millerntor.
Mit Willi, Toby und Dirk stellten wir uns in die zugige Ecke zwischen Nord und Gegengeraden und sangen und schnackten uns gemütlich ins Spiel …
„Die Nummer eins, die Nummer eins, die Nummer eins der Stadt sind wir“, intonierte Oke später beim ausgelassenen Feiern auf dem Rasen des Millerntor (Feierbiest scheint das neue Wort der Saison zu sein ;). Vorher jedoch war Singen, noch ein wenig bangen und Osnabrücker Konter überstehen angesagt. Für uns POPcaster als Erinnerung haben wir diesen Bonus aufgenommen … Hört live und unzensiert, welchen Quatsch wir uns auf der Tribüne erzählen, wenn auch ein historisches Spiel mal seine Längen hat 😉
Selten war ein Derby so einfach abzuhaken, selten waren die Boys in Brown so wehrlos gegen einen Gegner, der einfach mehr Körner ins Match warf. Eigentlich müsste man das Spiel also einfach abhaken können, denkste …
Ich hatte mich trotz Ticket dazu entschieden, nicht nach Mordor zu fahren, sondern mich mit M. und W. im Aalhaus verabredet, das mitten im Altonaer Holstenviertel nicht nur tolle Konzerte, eine fantastische Brotzeit und leckeres Bier, sondern auch draußen zwei Fernseher zu bieten hatte. Als ich ankam, so kurz nach 17:00 Uhr war die Hütte schon voll, der Zapfhahn glühte und das ganze Viertel versammelte sich gefühlt um die Eckkneipe herum. Erinnerungen an die magische WM 2006 kamen auf, lockeres Geplauder, fröhliches Fußballgucken – mit einer gesunden frühlingshaften Distanz – auch weil die Sicht auf die TV-Geräte der im Volkspark sehr ähnelte.
Ich mag den Begriff „Crunch Time“ nicht besonders; vielleicht weil er aus meinem beruflichen Umfeld kommt – und nur teilweise mit dem zu vergleichen ist, was wir gerade beim FC St. Pauli erleben.
Crunch Time = zu viel zu tun, zu wenig Zeit
In Softwareprojekten (auch denen, die mit Fußball zu tun haben, wie meine) meint Crunch Time in der Regel die Zeit vor Releases, Launches, Deadlines, Zeiten in denen mehr Arbeit übrig ist, als Zeit. Die Arbeit wird verdichtet, was in der Regel heißt, dass die Entwickler länger arbeiten, um das gesteckte Ziel zu erreichen.
Das ist beim Fußball anders. Weder die Länge der Spiele (90 plus Minuten), noch die Menge der Spieler auf dem Platz verändern sich – und doch verdichtet sich etwas. Meiner bescheidenen Meinung nach, fühlen wir Supporter und unsere Jungs auf dem Rasen eine Verdichtung der Zeit, weil immer weniger Spieltage übrig bleiben, um Punkte aufzuholen, die man in der Saison liegen gelassen hat. In unserem Fall sind es genau zwei Spiele, von denen eines gewonnen werden muss, wollen die Boys in Brown aus eigener Kraft direkt aufsteigen.
Zusammen mit der Erschöpfung, die am Ende einer intensiven Saison sich einstellt, wirkt die Unsicherheit am Ende eines Zyklus zusätzlich wie ein Brennglas: Das Ende der großen Iteration ist sichtbar – im Unterbewußten checkt man gerade dann aus, wenn es besonders darauf ankommt, präsent zu sein.
Transparenz, Fokus, Openness agile Werte, die helfen die Crunchtime zu überstehen
In agilen Kontexten, insbesondere im Scrum Framwork, kennt man dieses Problem, weswegen man Werte formuliert hat, die als Basis eines Team fungieren – um vor allem Zeiten der Unsicherheit und des Stress zu meistern.
Transparenz ist einer davon (im englischen flankiert durch den Wert der Openness). Die Grundidee ist einfach: nur Teams, die transparent ihre Situation kommunizieren, im Team, mit ihren Stakeholdern (im Falle des FCSP – uns!), können sich die Sicherheit erarbeiten, die man in Krunchzeiten braucht.
Fokus: Die Konzentration auf klar gesteckte Ziele in einer Iteration ist der Schlüssel für jedes Scrum Team. Übertragen auf die Boys in Brown bedeutet das: Fokus auf das Gewinnen des nächsten Spiels.
Was uns zu Marcel Hartel bringt.
Ich gestehe jedem Team nach so einer Saison zu — in der sie regelmäßig 1910% rausgehauen haben – dass sie auf der Geraden ein wenig schwächeln.
Bitte unterschätzt mir aber nicht den Effekt, wenn einer der Säulen des Teams sich einfach nicht entscheiden will. Nä Hartelbaby? Der April ist lange um und was ich sehe ist, ein Sich-persönlich-absichern auf Kosten des Teams. Das sehe ich, Sorry liebe Fanboys.
Von der Tragik, und was Lou Reed und Andreas Dorau damit zu tun hat:
Kapitel (mit Zeitangaben)
00:00:07.310 Einleitung 00:09:39.477 Träume und Fußballängste 00:17:24.056 Kulturveranstaltungen und Konzerterlebnisse 00:22:18.751 Überraschungssiege und Zweifel 00:24:49.232 Stadionerlebnisse und Biertraditionen 00:28:46.369 Prognosen und Relegationsspekulationen 00:32:37.859 Jugendförderung und Aufstiegsstrategien 00:40:22.344 Spielerentwicklung und Einsatzminuten 00:45:35.127 Transferverhandlungen und Spielerwechsel 00:51:47.214 Neue Rezepte und kulinarische Genüsse 00:55:08.152 Auswärtsfahrten und Fußballvereine 00:58:02.059 Gesunde Lebensweise und alkoholfreie Getränke 00:59:29.067 Reflexion über den Alkoholkonsum 01:00:25.627 Vielseitige Getränkeauswahl und Gesundheit 01:01:37.737 Kochen und Podcasts 01:11:05.149 Toilettenfilm und Madhouse 01:17:47.420 Reisepläne und Fußballanalysen 01:23:15.146 Erinnerungen an die Saison 01:27:20.418 Schachabteilung und Unternehmerträume 01:32:17.833 Empfang beim Rathaus 01:33:38.531 Aufstiegsfeier und Ergebnistipps
Inhaltsangabe (AI generated)
„In dieser Folge tauschen Markus, Willi und Erik ihre Einschätzungen zum Fußball aus, insbesondere zum aktuellen Geschehen rund um den HSV und St. Pauli. Von Siegträumen bis hin zu Analysen der bevorstehenden Spiele reicht das Spektrum der Diskussion. Auch Kulturveranstaltungen in Potsdam finden Erwähnung, bevor die Runde sich optimistisch auf die kommenden Spiele freut und die Folge mit einem Prost abschließt. Es wird von Konzerten und der Empfehlung neuer Musik sowie historischer Personen in die Diskussion über den Sport übergeleitet.\n\nIm Verlauf des Gesprächs teile ich ein persönliches Konzerterlebnis und empfehle den Zuhörern die neue CD von Andreas Dorau, von dem einige Hits nicht auf Spotify verfügbar sind. Die Unterhaltung schwenkt von Musik zu historischen Persönlichkeiten, bevor wir uns den aktuellen Entwicklungen im Fußball rund um St. Pauli zuwenden. Rückkehr von Spielern ins Training, Diskussionen über den Tabellenplatz und Aufstiegsszenarien prägen den Austausch. Auch potenzielle Relegationsspiele werden lebhaft debattiert. Die Gespräche umfassen ein breites Spektrum von Musik bis Fußball und ziehen verschiedene Meinungen an.\n\nDas Gespräch vertieft sich in Fußballthemen, angefangen bei der Liga-Platzierung, Leistungen von Mannschaften bis hin zur Jugendförderung und möglichen Transfers. Locker und ausgelassen werden Spieler, Verträge und potenzielle Verstärkungen besprochen. Es herrscht eine gelassene Atmosphäre, während Spekulationen und Diskussionen über die Zukunft der Teams im Mittelpunkt stehen. Von Duisburgs möglichen Wiederaufstieg bis zu Spielertransfers reicht die Bandbreite der Gespräche.\n\nSpäter wechselt das Thema zu persönlicheren Anekdoten über Bekannte in Strande und Diskussionen über Alkoholismus in einer lockeren Atmosphäre beim Trinken von alkoholfreiem Bier. Geplante Auswärtsfahrten, Musik beim Kochen und Spotify-Playlists sind ebenfalls Teil der unterhaltsamen Gespräche. Schließlich taucht ein Gast namens Oke auf, der mit dem Hauptredner über Lou Reed, Reiseabenteuer und Fußball diskutiert. Von Schachabteilungen bis zu anstehenden Spielen werden Themen behandelt, die abwechslungsreich und zum Nachdenken anregend sind.“
Im Frühjahr 2024 ist es der Geist von Stani, der mich heimsuchen will. 2010 entschied sich der inzwischen Tomaten sortierende Kulttrainer des FCSP zu einem Karriereschritt und zu einer emotionalen wie bizarren Erklärung, warum er Mannschaft und Verein verlassen will.
Seitdem spricht man beim FC St. Pauli von „dem Einen oder Anderen“, wenn man wissend Schwurbeln will.
Stani hat vor 14 Jahren seine Karriere über die Geschicke des Vereins gestellt, in einer Phase, die kritisch war. Neben all den Unterschieden, ist dies die Gemeinsamkeit zu heute, der Trigger, der den alten Klabautermann aus seiner Kiste lockt.
Unruhe in der Crunchtime der Saison
Seit Wochen blockieren sich Bornemann und Hürzeler in einer Art Verhandlungspatt; wenn die Meldungen stimmen, will Hürzi zwar weitermachen, aber zu 100% unverbindlich. Ohne Committment geht es aber nicht, sagt Bornemann zu Recht.
Markus (mit K) aus unserem Podcastteam sieht da kein Problem: „Dann einigt man sich eben nicht und geht ab Sommer seiner Wege“. Eine Haltung, die auch Oke vor einigen Wochen einnahm.
Und so wäre es wohl auch gekommen, wenn die Agentur „Roof“ von FH nicht plötzlich Muffen bekommen hätte, das meldet zumindest der NDR.
Jetzt soll aus der „Ausstiegsklausel“ eine Art „Topklubvorbehalt“ werden. Es wird langsam nervig, denn die Boys in Brown befinden sich in einer kritischen Phase des Langstreckenrennens um den Aufstieg. Hürzeler selbst verglich diesen Moment als „Kilometer 33 bei einem Marathon“.
Was ich daran erbärmlich finde? Wenn Stuttgart oder Wolfsburg (oder Brighton oder Hove) Hürzi wollen, dann sind die 3-4 Mio. Ablöse doch n Witz — und nur billiger Lohn für den Mut des FC, es mit dem grünohrigen Talent versucht zu haben.
„Ausstiegsklauseln für bestimmte Vereine?“. Ist das nu das Ergebnis des Rumgeeire? Man will den Vorteil des Handgelds ausgerechnet bei Stuttgart und Brighton ziehen, bei Bochum oder Galatasaray aber nicht? Ich kann mir das Hickhack nur noch mit Gier des „Einen oder Anderen“ erklären. Und das beschädigt Hürzi mehr, als er annimmt.
Am Ende ist er doch noch das „Baby“, das den Legoturm lieber kaputt macht, als ihn zu teilen? — das wäre irgendwie bitter, denn so war der Spitzname nie gemeint.
„DFB Pookaaaal, ist uns schietegaaaaal“ singen wir wieder lauthals seit gestern Abend – wenn wir ehrlich sind, dieser Chant stimmte noch nie so ganz. Anders kann ich mir die museumsreife Erinnerung an die legendäre B-Serie nicht erklären, als damit, dass dieser Song unserer auch legendären Erfolgslosigkeit im DFB-Pokal geschuldet ist. Eine Art kulturell-emotionale Sicherung gegen das Verlieren.
„Wir wären doch sehr gerne nach Berlin gefahren“, sagt M. nachdem spät am Dienstagabend alles vorbei ist. Ja, ich auch.
Marcus hatte nach dem letzten Podcast ja schon Hotelzimmer in Berlin reserviert, die er jetzt stornieren muss, denn er hat keine Freunde in Düsseldorf. Überhaupt hat Düsseldorf doch kaum Freunde, oder?
Röslers Erben – Düsseldorf mit Arschloch-DNA
Es gibt für viele Mannschaften im Fußball sowas wie eine DNA, eine Art und Weise, die sich über Spieler- und Funktionärsgenerationen hinweg vererbt. Bayern Münchens Dusel und „Mia san mia“ wäre so ein fußballkulturelles Gen. Oder dass alle Darmstädter Mannschaften die Blutgrätsche perfektionieren und wie eine Art „deutsche Urus“ alles wegruppen, was nicht schnell genug weglaufen kann.
Düsseldorf ist schon immer eine unangenehme Mannschaft gewesen, mit ausgesprochenem Arschlochpotential. Rösler war einst der Inbegriff dieser unfairen Attitude und die aktuelle Mannschaft, inklusive Trainerstab eifern ihrer Bestimmung fröhlich nach.
Baumlange Innenverteidiger wälzen sich ohne sichtbaren Grund auf dem winternassen Rasen, gestikulieren und provozieren vor der Gegengerade und der Süd; der Torwarttrainer versorgt Kastenmeier mit Infos beim Elfmeterschießen – bis er vom Schiedsrichter weggejagt wird. Aber Hürzibaby die rote Karte zeigen.
„Düsseldorf hat für das Spiel nun wirklich nicht viel getan“, sagt M. beim Abpfiff der regulären 90 Minuten und bestätigt meinen Eindruck.
Die Düsseldorfer machen nix und fahren gut damit. Zwei Fehler der Boys in Brown führen zu zwei Gegentoren.
YNWA hätten sich die Boys in Brown verdient gehabt
Ich kann mich gut an das stadionweite „You’ll Never Walk Alone“ nach Niederlagen erinnern, das ganze Stadion voller Schals. Ein mächtiges Werkzeug zur Niederlagenverarbeitung, die auch greislichste Gegner beeindruckte. Dieses YNWA scheint der erfolgsverwöhnte FC St. Pauli und seine Kurven verlernt zu haben.
Schade. Ich habe es trotzdem gesungen; alleine in der Nord. Wie ich später erfuhr, hat S. das auf der Gegengeraden auch gemacht – auch allein.
„Verzockt, vercoacht, verbohrt, versagt“ ist Hürzeler an allem schuld?
Ich muss das jetzt mal so sagen – auch wenn’s müßig ist: mit Vasilj wäre das nicht passiert.
Nicht nur der Kicker findet in Fabian Hürzeler den Schuldigen an der Pokalniederlage. Marcus schrieb im Podcast-Chat vor dem Spiel, dass die Nichtaufstellung von Manolis Saliakas und Saad der erste Coachingfehler ist. In einem Viertelfinale stellt man die Nummer eins auf, schrieb nach dem Spiel ein anderer.
Ich gehe da nicht mit; das ist mir zu einfach. Auch dass im Verein gerade die Seele hochkocht, weil Hürzibaby es wagt ein wenig zu pokern, gefällt mir nicht. Was hättet ihr denn gesagt, wenn Stani damals mit seiner Entscheidung für „wie hieß er man noch?“ verloren hätte im klammen Februar 2010?
Spiele verliert immer die ganze Mannschaft: Macht Hartel das 100% Ding wärs egal. Gewinnt einer der Boys einen oder zwei Zweikämpfe mehr, wärs egal.
An Burchert manifestiert es sich nur, verloren haben wir alle schön zusammen.
Toby ergänzt in unserem Thread: „Dafür waren es zu viele Komponenten, die gestern schief gegangen sind. Ja, Burchert verursacht zwei Gegentreffer. Hartel macht den 100% nicht. Ameniydo und Ritze leider nur vielversprechend, aber nichts haltend. Treu auf rechts längst nicht so gut wie auf links (hatten wir den nicht als Rechtsverteidiger geholt?). Sogar Smith hat einen Fehlpass gespielt!!! Es haben viele Dinge nicht so geklappt wie normal. Abhaken und hoffen, dass wir jetzt einfach aufsteigen.“
Dass ich Hürzi mal gegen euch verteidigen muss und seine Entscheidung für eine gute Kadermoral, zu der eben auch gehört, die Jungs in der zweiten Reihe spielen zu lassen. Auch wenn das dann ein anderes Spiel wird, als wenn die Tikitaka-Linie zwischen Vasilji bis Eggestein geschlossen wäre.
Gegen die defensiv und aggressiv eingestellten Düsseldorfer wäre es vielleicht ja auch für die erste Reihe schwer geworden.
Obwohl mich eines überrascht hat: ja, dass Saad den einen Unterschied machen kann, das wissen wir – aber dass wir ohne Manolis so gar keine Schnitte sehen und wie sein Hineinkommen sofort Wirkung zeigt, das hat mich doch überrascht.
Aggression, Abziehen, FCSP Fans enttäuschen nach dem Abpfiff
Ich hatte gegen Düsseldorf meinen selbstauferlegten Bierboykott beendet (das Monsternetz war ja nu abgebaut) und hatte schon ein paar Halbe intus, als ich nach dem Abpfiff die Gegengerade entlang schlenderte, auf dem Weg nach Hause. Die Weinbar hatte aus Selbstschutz nicht mehr aufgemacht („Wenn wir jetzt aufmachen, sind wir nicht vor vier hier raus“), was ich gut verstehen konnte – ich musste heute auch arbeiten und fit sein.
Ich gratulierte am Busparkplatz zwischen Süd und GG gerade noch zwei Düsseldorfern, als von hinten eine Gruppe St. Pauli Fans angesprungen kam, dem einen den rot-weißen Schal wegriss und in Richtung Fanladen weglief.
Konsterniert sah ich dem Abziehen zu und hab das mit dem Bier erzählt, weil ich nüchtern vielleicht nicht sofort gesagt hätte: „Den hol ich Dir wieder“.
Gestellt wurde der Abzieher aggressiv, wollte mir „Schwanz“ ans Leder. Abgehalten hat ihn vielleicht, dass ich auch als St. Paulianer zu erkennen war und meine klare Ansage (wie lange ich das mit Ü50 noch machen kann, weiss ich auch nicht). Die Düsseldorfer haben ihren Schal wieder und ich die Erkenntnis, dass es auch Menschen mit Arschlochgen in unseren Reihen gibt. Traurig macht mich, dass der Typ so ein einfallsloses Repertoire an Schimpfworten aufwies – da bin ich besseres gewohnt 😉
Letztes Wort zum Monsternetz?
Die Aussicht auf eine „freie Sicht aufs Mittelmeer“ hatte mich schon den ganzen Tag beflügelt, dass mich einige in der Nord ansprachen und mir fürs „Nichtlockerlassen“ dankten, tat dann doch gut – vor allem nach den ganzen Spitzen und Anwürfen aus dem GG-Establishment der letzten Woche.
Ich wünschte mir mehr Solidarität zwischen den Kurven, das Wiedererlernen von selbst-heilendem YNWA für die Boys und uns, und dass wir irgendwann einmal doch nach Berlin fahren zum Finale – und Marcus nicht wieder stornieren muss 🙂
Ich höre zum Einschlafen öfter mal einem indischen Guru bei dem zu, was Gurus so machen: Sonor reden. Besser gesagt, ich höre seiner deutschen Übersetzerstimme zu; die ist so beruhigend und im Kern freundlich – Grüße gehen raus an M., die unseren Podcast immer zum Einschlummern nutzt; ob das ein Kompliment ist, dürft ihr entscheiden 😉.
Im Kern geht es in den Sinnsprüchen des Gurus darum, dass unser Verstand die ganze Welt zu einem Drama macht; wir machen uns unser Drama selbst. Die Buddhisten nennen das Anhaftung. Und an was kann man als St. Paulianer mehr angehaftet sein, als an den magischen FC?
Am Spieltagsmorgen wache ich früh auf. Ich hatte das Fenster im Schlafzimmer einen großen Spalt offen gelassen und nun kroch die nasse Kälte des Morgens unter meine Decke. Eine klamme Kälte, die den ganzen Tag anhalten sollte – hui, war ich durchgeklappert nach dem Spiel.
Beim Kaffe nahm dann das Drama seinen Lauf; M. rief an und wollte mit mir das Netz besprechen, dass der FC St. Pauli in sechs Wochen nicht repariert bekam und das auch zum ersten Spiel 2024 unsere Sicht auf das Spielfeld behindern – schlimmer noch, uns auf der Nord weiter ausgrenzen würde; abschneiden von dem, was wir einen Teil von uns selbst betrachten: dem Millerntor.
„Es ist mir ein Rätsel“, sagt M., „wie man ein solches Netz anbringen kann, das nur Fachkräfte alle Monate mal bearbeiten können? – Da kann man ja Hopfen hochranken lassen, so stabil ist das“.
„Ja, ja, der Fachkräftmangel“, antworte ich und merke, dass mich das Thema einholt, von dem ich hoffte, dass es in 2023 liegen geblieben ist. Jaja, da war es wieder das Drama, das selbst gemachte. Ich könnte das Thema doch eigentlich auch ignorieren, das so sehen, wie die Unbeteiligten auf Facebook, die immer darüber schrieben, dass der gütige Verein doch wohl wisse, was er tue.
„Ich bin wohl noch weit weg vom Buddha-Status“, lache ich gequält ins Telefon. Immerhin, nun weiss ich, was mich am Monsternetz so nachhaltig piekst. Kaum habe ich es gedacht, sagt M. es schon: „Auf der Süd wäre das Netz keine Woche alt geworden. Aber mit uns Mitgliedern 2. Klasse auf der Nord kann man das ja machen.“
W. kommt in das Gespräch dazu und schafft das, was M. und ich nicht schaffen – er holt uns aus dem Doom-schnackig heraus. „Wichtig ist doch, dass wir und die anderen uns im Stadion treffen – schiet auf den Verein und das Netz“. OK, darauf können wir uns einigen. St. Pauli ist eben ein Menschending. W. scheint sehr viel näher dran zu sein, das Drama zu kontrollieren, denke ich noch und lasse mich ein – auf die Nord, auf das Netz, die Region.
„Achtet mal auf die ’36′“, sagt Willi, als wir ganz am linken Rand der Nord im nasskalten Zug stehen, der von Südwest nach Nordost genau durch unsere Unterhose und um unseren Nacken weht. Während des Spiels dreht sich Willi immer mal wieder um, wenn unser Neuzugang aus Köpenick den Ball erobert und gleich wieder gefährlich nach vorne paßt. Ich nicke dann: habs gesehen, W.
„Kein Wunder, dass es für Kemlein keine Option gab“, sagt S., den wir wie immer vor der Domwache aufgegabelt haben.
Ein Viertel des Spielfeldes kann ich sogar ohne Netz sehen – und ja, es ist ein Unterschied. Die Boys in Brown tun alles, um mich aus meinem Drama in ein anderes zu holen; und das machen sie gut.
Vorher hatte mich schon Daggi aus den trüben Gedanken geholt, als sie bei der Vorstellung von Hürzibaby ein stummes Fragezeichen anhängte: „unser Trainer ist und … bleibt …(?) … Fabian? …“ Wundervoll. Auch die Edukation des Stadions, wie wir Maurides – Junior nämlich – begrüßen wollen, lädt mich wieder fast voll auf. Gibt es etwas Besseres, um Spieler und Stadion zu verknüpfen – anzuhaften?
Die Demo am Freitag wirkt auch im Stadion noch nach, auch wenn wir keinen Roarr hinbekommen bei „ganz Hamburg hasst die Afd“. Im Stadion hassen auch alle die DFL. Ich hafte ja bei dem Wort „hasst“ nicht so gut; aber OK. Ich weiss ja, wie das gemeint ist.
Immerhin, auch das ist neu in 2024, wir halten die Null und schießen Tore. Zwei mehr als der Gegner – der allein in vier Minuten sieben Mal das Tor hätte teffen müssen. Musste mir den Slapstick (ja sorry, ist so) im TV ansehen; durch das Netz ging das nicht. Konnte nur hören, dass der Ball wohl auch nicht ins Netz ging.
Ein spannendes Spiel, das die Boys zu recht gewinnen. Nur das mit dem Toreschießen muss irgendwie besser werden, nörgelt D. Wir werden hier noch zur Meckerecke Nord, denke ich kurz und wische den Gedanken beiseite. Denn diesmal stehen wir etwas weiter unten, und das neben sehr netten Leuten, die nicht das ganze Spiel keifen und an unseren Jungs rumkritteln.
Spieler des Spiels wird mal wieder Marcel Hartel – und das trotzdem er Handschuhe trägt. 😉
Am Nachmittag mache ich mir ein widerständiges Rosenkohlpesto und schaue viel Fußball im Fernsehen; alter, was hatten wir für einen Sott, dass Kaiserslautern so vergeigt hat und wir Manolis auf der Linie haben.
Der FC St. Pauli verpflichtet auf Leihbasis den 19-jährigen Aljoscha Kemlein vom sportlichen Vorbild FC Union Berlin.
Medienanalysen zufolge soll das Ausnahmetalent, das für Berlin schonmal Champions League Luft schnuppern durfte, das Loch stopfen, das die längere Asienreise von Connor und Jackson im Hochwinter reißen wird.
Unser Sportchef Andreas Bornemann bleibt sich dabei treu und setzt auf das, was Markus in unserem Podcast als “Jugend forscht” bezeichnet hat. Da ist Borne, wie er im Verein genannt wird, “eisern”, zieht seine Strategie durch, eher junges Gemüse zu verpflichten als gestandene aber gerade zu kurz kommende Bundesliga-Spieler auszuleihen.
Ich mag diese “Bornemanniertheit” ja inzwischen ganz gut leiden. Im Profifußball wohnt jedem Anfang nämlich schon ein baldiges Ende inne – das zu wissen und sein Handeln danach auszurichten, egal wem gegenüber, das imponiert mir.
Über den Jahreswechsel hat mich – wie viele von uns – die Hängepartie um Hürzelers Vertrag beschäftigt. Schon klar: der Mann ist in seiner sportlichen Handschrift im Jahr 2023 so erfolgreich und auffällig gewesen, das musste ja so kommen. Ist ihm auch nicht zu verdenken, wenn er sich eine Hintertür in Form einer Option offen halten möchte. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie diese Vorstellung auf die Prinzipien von Andreas Bornemann stößt und an ihnen abprallt. Klare Verhältnisse, junger Padawan, denke ich mir – keine Option: entweder den Weg mit St. Pauli gehen – oder gar nicht.
“Was denn, noch jünger?”
Dass jetzt auch Trainer meine Söhne sein können, daran muss ich mich allerdings erst noch gewöhnen.
“Aljoscha könnte sogar unser Enkel sein, rein theoretisch”, scherzt M. als wir zum neuen Jahr telefonieren. In Hamburg zieht für eine Woche skandinavische Kälte ein, das Team weilt im Trainingslager in Spanien – Zeit, den Bogen mal ein bisschen weiter zu fassen.
“Als ich anfing zum Fußball zu gehen waren die Spieler Erwachsene für mich. Beckenbauer, Kaltz, Hrubesch, alle älter”, sage ich. “Ach ja, wie jeder anständige St. Paulianer unserer Generation warst Du ja mal HSVer”, lacht Markus.
”Das war auch noch so, als ich begann ans Millerntor zu gehen”, antworte ich; und es schwingt ein wenig der Versuch mit, mich zu rechtfertigen, dass ich in der siebten Klasse mit meinem Freund Nils immer zum Volkspark geradelt bin, um den HSV zu sehen; Schülerkarte fünf Mark.
“Ottens oder André Golke waren auch älter als ich; Eisendieter Schlindwein sah auch noch so aus!”, sage ich dann und überlege, wann sich das wandelte?
“Fußballer sehen ja auch immer älter aus als alle anderen, da ist das schwer einzuschätzen”, ergänzt Markus.
Das erste Mal, dass ich einen kleinen Schock bekam war, als der erste Profi so alt war wie meine älteste Tochter. Ausgerechnet Fiete Arp (Baujahr 2000) war der Trigger – nu war ich alt.
“Spieler kommen, Spieler gehen – nur der FC der bleibt bestehen”, versucht mich M. zu trösten. “Solange wir noch stehen können und uns nicht mental gealtert im Alten Stamm vergnügen müssen, ist doch alles paletti”.
Recht hat er. Also auf das junge Gemüse; willkommen Aljoscha am Millerntor – erster einer Enkelgeneration am Millerntor? 😉