Still lovin’Jackson Irvine?

Es ist Sommerpause, außer Transfergerüchten ist nicht viel los, die Spieler vergnügen sich in Dubai, feiern Polterabende oder besuchen Festivals zur Entspannung und Rekonvaleszenz. Medien haben in den Wochen um Midsommer wenig Futter, da wird ein entschwundener Cayman im Baggersee schonmal zum nationalen Notstand hochgejazzt.

Jackson Irvine, Gaza und die Popkultur

Ein Bonus-Popcast zu Jackson Irvine:

Kontroverse über Jackson Irvines Support für Gaza/ Palästina

Der Boulevard hat (spät, so wie ich auch) das Thema Jackson Irvine und seine Instagram Postings entdeckt. Nach dem Hamburger Abendblatt und dem NDR hat nun auch die Bildzeitung das Thema entdeckt – und damit isses für uns beim FC St. Pauli ja auch fast schon wieder vorbei (wer will sich denn mit dem Boulevard überJackson streiten?).

Palästina und die Pop-Kultur

Vorab

Feststellung: das Trikot vom Palestine FC ist unbestreitbar antisemitisch.

Eine Dimension ist mir in der Diskussion jedoch ein wenig untergegangen: die popkulturelle.

Ich bin alt genug, um mich daran zu erinnern, dass viele meiner Mitschüler (die irgendwielinks waren) Palästinensertücher getragen haben. Aus modischen Gründen. Wer die schwarzweisse Kufiya trug, der verortete sich in ein gewisses Spektrum der Pop und Jugendkultur. Ich bezweifle, dass meine Kumpels von damals, mit denen ich Gras rauchend darüber diskutierte, ob Anarchie machbar sei (Antwort damals: Ja, Herr Nachbar), alles Antisemiten waren, die Israel das Existenzrecht absprechen.

Landen Symbole zu ernsten Themen auf dem Laufsteg der Mode und etablieren sich in der Popkultur, wie nach dem Palästinensertuch auch der Suppport für Gaza, dann entfernt sich das Sujet, hebt sich in eine andere Dimension. Das ist vergleichbar mit anderen Ikonen, wie Che Guevara bspw., dessen Konterfei ikonisch nur noch wenig mit dem homophoben Massenmörder zu tun hat, der er historisch war. (Ich nehme ja auch bei USP nicht an, dass sie die „reale“ Seite des Revolutionärs feiern, wenn sie ihn auf Doppelhalter und Aufkleber drucken – ob man das machen sollte?, ja darüber können wir gerne auch streiten).

Paul Weller, Eric Cantona – eigentlich die gesamte irgendwielinke Pop-Possee in Groß Brittannien, hat das modische Statement zu Gaza entdeckt. Ist es da ein Wunder, dass sich ein Hipster, wie Jackson davon inspirieren lässt?

Ihm zu unterstellen, dass er auf das Thema aufmerksam machen möchte?, ja, das kann man. Diskutieren, ob sich das für einen Spieler des FC St. Pauli, mit seiner klaren Haltung zum Konflikt und der Freundschaft zu Hapoel Tel Aviv gehört?, ja das soll man. Ihm Antisemitismus zu unterstellen, oder dass er Israel von der Landkarte getilgt haben möchte, nein, das ist aus diesen Instagram Posts nicht abzuleiten (zumindest hoffe ich das sehr!).

Denn dafür hat dieses Pop-Phänomen sich inzwischen zu weit vom realen Schrecken in Gaza entfernt. Kann man doof finden, aber so funktioniert POP.

Diese Transformation ist übrigens nicht ohne und betrifft besonders den FC St. Pauli, auch den Jolly Roger, die Regenbogenflagge und andere Icons in unserer Welt.

Sie entziehen sich dem Ernst. Triggern die einen, und versammeln andere, die gar nicht viel gemeinsam haben müssen; manchmal lediglich denselben Musik oder Modegeschmack.

Ich möchte Spieler haben, die eine eigene popkulturelle Haltung haben – die auch reflektieren können – beides traue ich Jackson zu, denn eines scheint mir unstrittig: die als 11 gelesenen Symbole auf dem Trikot sind antisemitisch. Sie zur Schau zu tragen, ist im besten Fall gedankenlos.

Es ist ein schmaler Grat zwischen Support für die Schwachen dieser Region und Antisemitismus. In diesem Fall hat Jackson eine Grenze überschritten — eine Klarstellung wäre hilfreich (ach eigentlich hat Ea80 Recht), kann man diese sogar erwarten.

Photo Credit: by Timmy96 – Own work, CC0, Pop-Artisierung: Ring2

https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=141526862

Fediverse-Reaktionen

6 Antworten

  1. Avatar von Klaus Lachshammer
    Klaus Lachshammer

    Uff. Der Artikel ist leider ein exemplarisches Beispiel dafür, wie Antisemitismus unter dem Deckmantel vermeintlicher Differenziertheit verharmlost, relativiert und banalisiert wird. Was eine vermeintlich ausgewogene Einordnung sein soll, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als argumentative Selbstaufgabe. Die wiederholte Berufung auf die angebliche Komplexität der Debatte dient nicht der Analyse, sondern ist vielmehr eine billige Flucht vor der Notwendigkeit einer klaren eigenen Positionierung.

    Deine zentrale Verteidigungslinie besteht darin, Jackson Irvines Äußerungen als legitime und vor allem harmlose Kritik an der israelischen Politik darzustellen. Doch wer den Kontext antisemitischer Narrative ignoriert, reproduziert sie zwangsläufig. Für sich betrachtet gibt es für Jackson Verhalten jeweils eine alternative Erklärung, in der Gesamtheit entsteht daraus aber ein sehr klares Bild. Und eine pauschale, moralisch aufgeladene Anklage gegen Israel, die Massaker der Hamas ausblendet und keinerlei differenzierende Elemente enthält, ist keine legitime Kritik mehr. Sie bedient exakt die Muster, die in der Antisemitismusforschung seit Jahrzehnten als problematisch benannt werden: Dämonisierung, Delegitimierung und doppelte Standards. Besonders gravierend ist dabei deine Verharmlosung der Karte auf Jacksons FC-Palestine-Trikot, auf der Israel nicht existiert. Du weist diesen Vorwurf mit der Behauptung zurück, aus Irvines Instagram-Posts sei nicht abzuleiten, „dass er Israel von der Landkarte getilgt haben möchte“. Damit wird der antisemitische Gehalt des Bildes nicht nur verkannt, sondern aktiv kleingeredet. Dabei ist die Bildsprache eindeutig: Wer eine Karte ohne Israel verbreitet, sendet damit eine klare politische Botschaft, die zudem bei den Hamas-Unterstützern und sonstigen Dschihadistenfreunden auch exakt so angekommen ist und bejubelt wurde. Es braucht kein wörtliches Bekenntnis zur Auslöschung, wenn das Bild selbst diese Aussage bereits transportiert. Dies mit einem lapidaren Satz abzutun, ist keine Verteidigung, sondern eine Verharmlosung dessen, was in jeder anderen Konstellation sofort als inakzeptabel erkannt würde.

    Vollends entlarvend ist jedoch der Ende des Artikels: „Ich habe sowieso keine Lust, jetzt, wo die FCKBLD drüber schreibt, mich noch länger damit zu beschäftigen.“ Dieser Satz ist die Kulmination der inhaltlichen Kapitulation und hat mich echt ein wenig sprachlos gemacht. Anstatt sich mit der Brisanz der Kritik auseinanderzusetzen, dass sich der Kapitän des FC Sankt Paulis mit Hamas-Freunden solidarisiert und offenbar das Existenzrecht Israels in Frage stellt, wird sie durch Herkunftsdiskreditierung delegitimiert. Das ist keine politische Haltung, das ist pure Verantwortungslosigkeit. Wer glaubt, Antisemitismus mit dem Hinweis auf die Falschen, die ihn kritisieren, ignorieren zu können, macht sich zum Komplizen der Täter. Du erweckst hier den Eindruck, als solle die Integrität des eigenen Umfelds wichtiger sein als die Konsequenz im Umgang mit Judenhass. Diese Haltung mag bequem sein, aber sie ist nicht nur eine moralisch Bankrotterklärung, sondern politisch höchst gefährlich.

    Die Fanszene eines Vereins, der sich Antifaschismus auf die Fahnen schreibt, sollte besser wissen, dass Antisemitismus auch dann Antisemitismus bleibt, wenn er von den vermeintlich Richtigen kommt. Wer das nicht erkennt oder nicht anerkennt, so wie Du hier, verliert jede Glaubwürdigkeit im Kampf gegen rechte Ideologien.

    1. Ich bin da ganz deiner Ansicht. Denn ich verteidige hier nichts. (Hab den Text aber nochmal überarbeitet — war nicht klar genug).

      Mir geht es um das pop-Phänomen, dass viele Popgranden (Eric Cantona, Paul Weller, Eurythmics oder auch US Schauspieler) diesem Trend offensichtlich unkritisch folgen. Was die Frage aufwirft: entfernt sich Pop vom eigentlichen Sujet ggf soweit, dass der in diesem Fall ikonosierte Vernichtungswillen verschwindet?

      Darauf weiss ich keine Antwort, halte diese Dimension aber für wichtig.

  2. Ergänzung: popkulturelle Aneignung von Symbolen und Personen

    Indem das Trikot zur Mode wird, ändert sich seine Aufnahme in der Öffentlichkeit. Innerhalb der Bewegung behält es seine Botschaft weitestgehend bei: Es signalisierte weiterhin Unterstützung und Zugehörigkeit. Doch außerhalb (vor allem in westlichen Modestädten) trat schnell ein Auseinanderdriften von Symbol und Botschaft auf. Wie der Guardian berichtet, ist der Keffiyeh in Modekreisen „praktisch zum Abbild eines Rebellentums“ geworden, wird von Trendsettern ungeachtet seiner Geschichte getragen
    theguardian.com

  3. Wen es interessiert, ich hab ChatGPT mal zum Thema recherchieren lassen:

    https://chatgpt.com/s/t_68543d51007481919da76e6405ed6850

  4. @stpaulipop War zufällig auf dem gleichen Fastival…..es gab nicht eine Küstler:in die nicht eine Palästinenser Fahne auf der Bühne hatte oder zumindest "Free Palestine" ins Mikro gebrüllt hat….sind wir jetzt alle Antisemiten? Laut #FCKBILD ja. #fcsp #irvine

  5. @stpaulipop Yes. Jackson is the best that has happened to football since Cantona.

    Furthermore, if anybody believes (for real) that speaking out *against* genocide is antisemitic, sorry, but fuck off for real.

    Love St. Pauli, fuck fascism, fuck racism, fuck complicity by silence!

    🤎 🤍

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